Salzburger Nachrichten - 29. Mai 2010

 

Der Chronist des Mittelmeeres

Wissenschaftler, Seemann, Pazifist, Aussteiger, Reiseschriftsteller, Umweltschützer, Tourismuspionier. Der vergessene Erzherzog Ludwig Salvator (1847-1915) war ein „Bunter Hund“ und passt so gar nicht in das Bild der Habsburger-Dynastie.
Von Heinrich Breidenbach


Wie schön muss das Mittelmeer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen sein! Jahrhunderte der Angst vor den mörderischen Piratenüberfällen waren vorbei. Die westlichen Mächte und das osmanische Reich hatten sich arrangiert. Abgesehen von der Seeschlacht bei Lissa im Jahr 1866, machten die großen Kriege auf dem Meer eine lange Pause. Es herrschte Reisefreiheit. Die allsommerliche Invasion von Millionen Touristen war noch unvorstellbare Zukunftsmusik.
Diese glücklichen Jahrzehnte des Mediterran haben einen vergessenen österreichischen Chronisten. Erzherzog Ludwig Salvator aus der Toskanischen Linie des Hauses Habsburg. Der „dicke Luigi“, wie ihn Kaiser Franz Josef einmal ein wenig eifersüchtig in einem Brief an Kaiserin Sisi nannte, durchstreifte von 1872 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 auf seiner Dampfsegelyacht „Nixe“ das Mittelmeer.
Ludwig Salvator war ein geduldeter Außenseiter. Er galt bei Hof bestenfalls als schrulliger Kauz, schlimmstenfalls als heidnischer „Sonnenanbeter“ und verkappter „Kommunist“, der das strenge Protokoll mied und lieber ein Leben „unter Gleichen“ führte. Zahlreiche Legenden, Anekdoten und Gerüchte ranken sich um den „Aussteiger“, der Uniformen hasste, die Friedensbewegung um Berta von Suttner finanziell unterstützte, unverheiratet blieb, sexuell nicht eindeutig zuordenbar war, Gäste gratis bewirtete, die Welt und das Mittelmeer bereiste, forschte, beobachtete und schrieb.
Der Wiener Hof war froh, den unkonventionellen Spross weit weg zu haben. Im Gegenzug genoss Salvator als Mitglied des Erzhauses eine stattliche jährliche Apanage und Einkünfte aus ausgedehnten Ländereien rund um sein Schloss Brandys an der Elbe, nahe Prag. Eigentliche Heimstatt war ihm seine Yacht „Nixe“. Daneben erwarb er zahlreiche Anwesen und Ländereien in Mallorca, eine Villa nahe Triest und einen Wintersitz in Ägypten.


Privilegierter Müßiggänger?
Ein reicher, privilegierter Müßiggänger also, der sich im Mittelmeer ein schönes Leben machte? Das ist ein Stück Wahrheit, aber nicht die Ganze. Ludwig Salvator war mehr. Als er im Jahr 1915 starb, hinterließ er ein umfangreiches Werk aus siebzig Bänden. Darunter Beschreibungen von Reisen bis nach Kalifornien oder Australien, schwärmerisch-romantische Naturbetrachtungen, die Biographie der Verwalterin seiner Güter in Mallorca und zahlreiche wissenschaftlich-enzyklopädische Werke.
Im Zentrum seines Interesses standen das Mittelmeer mit seinen Inseln und Küsten, insbesondere die Balearen, die dalmatinische Küste, die liparischen und ionischen Inseln, Zypern und Nordafrika. Für seine Bände über die Balearen wurde er 1878 mit der Goldmedaille der Pariser Weltausstellung ausgezeichnet.
Salvators wissenschaftliche Werke zeichnen sich durch System und Akribie aus. Er erfasste darin Flora und Fauna, geologische und klimatische Verhältnisse, Geschichte, Wirtschaft, Arbeit, Handwerkszeug, Ackerbau, Fischfang, Tiere, Architektur, Preise, Eheschließungen, Geburten, Häftlinge, Sprachen, Lieder, Tänze, Trachten, soziale, politische und religiöse Verhältnisse, usw. Dem Leser fällt bei der Lektüre dieser Bände wirklich nichts mehr ein, was hier noch fehlen könnte. Salvator widmete allein der kleinen griechischen Insel Zakynthos („Zante“) zwei Bände mit insgesamt 1.153 Seiten.
Salvator war auch ein geschickter Zeichner, der seine Werke selbst illustrierte. Er verfügte über das „Kapitänspatent der langen Fahrt“ und führte viele Jahre lang selbstständig die immerhin 52 Meter lange Dampfsegelyacht „Nixe“. Die Salvator-Biographin Helga Schwendinger bescheinigt dem Kosmopoliten die Kenntnis von 12 Sprachen, darunter auch arabisch.


Für Mädchen-Bildung, Rollstühle, Wahlrecht und gegen Rassismus
Der Erzherzog aus dem streng konservativen Haus Habsburg vermag seine Leser auch nach mehr als hundert Jahren immer wieder zu überraschen. Dies etwa, wenn er bedauert, dass den Bauernmädchen auf Zakynthos zu wenig Schulbildung zu Teil wird, „da noch viele Bauern von der irrigen Meinung ausgehen, dass Frauen keine weitere Ausbildung als jene für das Hauswesen benötigen“. Oder wenn er im Jahr 1911 anregt, die Gebäude von Weltausstellungen mögen doch „rollstuhlfreundlich“ ausgeführt werden. Oder wenn er im Jahr 1904, als in der Donaumonarchie das allgemeine Wahlrecht noch nicht erkämpft war, „die breite Basis des Wahlrechtes“ auf Zakynthos lobte, weil dieses „jeden einzelnen zur Geltung und zur Wichtigkeit“ bringe.
Wie auf einer Zeitreise kann heute die Schilderung eines rassistischen Übergriffs im Australien des Jahres 1886 empfunden werden: „Junge Leute begingen die Schandtat, nach zwei harmlosen Chinesen, welche ruhig ihres Wegs gingen, mit der Peitsche zu schlagen. Ich erhob energisch meine Stimme gegen jene Impudents, welche erschrocken in Carriére verschwanden. Man sieht daraus, wie lebhaft der Antichinism auch in Australien sich geltend macht.“


Das Mittelmeer: „Ein einzig gleiches Land“
Die aktuelle Idee intensiverer Beziehungen zwischen den Mittelmeer-Anrainerstaaten nimmt Salvator vorweg. Dem Seemann waren die Küsten Nordafrikas gut vertraut und er entdeckte zahlreiche Verbindungen über das Meer hinweg. Das Mittelmeer beschrieb er nie als Grenze zwischen den Kontinenten und Kulturen, sondern als Brücke: „Ja es ist doch dieselbe Art, das selbe Meer, dieses schöne liebe Mittelmeer, das mit allen seinen Ufern, wiewohl drei verschiedenen Weltteilen gehörig, ein einziges gleiches Land zu bilden scheint.“
Wechselseitige kulturelle Einflüsse beschreibt er in seinen Werken durchgängig positiv. Etwa wenn er über die algerische Stadt „Bougie“ (heute Bejaia) schreibt: „Gar häufig hatte ich in Bougies Reede Anker geworfen, bevor ich nach den Balearen hinüber fuhr, und immer war ich durch die Verwandtschaft beider Länder überrascht und angezogen worden. Ein doppelter Faden maurischer und spanischer Poesie durchwebt die Geschichte beider Länder und macht dem Kenner und Freunde des einen das andere doppelt anziehend.“


Naturschützer und Tourismuspionier in Mallorca
In Österreich blieb die Rezeption Salvators bislang wenigen Interessierten vorbehalten. So gibt es etwa um den Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Löhnert eine österreichische „Ludwig Salvator Gesellschaft“ (www.ludwig-salvator.com). Wissenschaftlich beschäftigt sich die Historikerin Brigitta Mader (www.brigittamader.com) intensiv mit Salvator.
Ganz anders etwa verhält es sich in seiner Wahlheimat, der spanischen Ferieninsel Mallorca. Dort ist der „Archedux“ (Erzherzog) bis heute eine sehr populäre Figur. Dies nicht nur wegen der prickelnden Gerüchte um seinen Lebenswandel, über den gerne gemunkelt wird.
Mallorca und die Balearen verdanken Salvator wesentliche touristische und naturschützerische Impulse. Er hat die Inselgruppe durch seine Werke und die zahlreichen Einladungen an Dichter, Maler, Wissenschaftler und „Prominente“ bekannt gemacht. Salvator hat über Jahrzehnte auf seinen Gütern eine „Hospederia“ mit zwanzig Betten unterhalten, in der jeder Reisende nicht nur drei Tage lang gratis Aufenthalt nehmen konnte, sondern auch mit Bettwäsche, Geschirr, Öl, Oliven und Brennmaterial versorgt wurde.

 


Salvator kaufte im Lauf von Jahrzehnten einen beträchtlichen zusammenhängenden Grundbesitz im Abschnitt zwischen Valdemossa und Deia an Mallorcas Nordwestküste auf. In diesen Wäldern wurden alle Rodungen eingestellt. Den gesamten Besitz vermachte Salvator testamentarisch seinem Sekretär Antonio Vives, dessen Nachkommen die Ländereien großteils bis heute gehören, und die sich an das naturschützerische Erbe gebunden fühlen. Bis heute ist daher dieser Küstenabschnitt vor dem gefräßigen Zugriff der mallorquinischen Tourismusindustrie verschont geblieben. Die malerische Halbinsel Foradada und andere wertvolle Gebiete aus Salvators Erbe stehen bereits unter Naturschutz.


Wanderungen auf Salvators Spuren
Die Mallorquiner haben Ludwig Salvator seine Verdienste um die Insel nicht vergessen. Schon zu Lebzeiten wurde ihm der Ehrentitel „Berühmter Stiefsohn der Balearen“ verliehen. In Mallorca erinnern unter anderem Straßennamen, ein kleines Museum in San Marroig über der Halbinsel Foradada, ein Denkmal im Garten des Kartäuserklosters in Valdemossa und eine Erinnerungstafel auf Salvators ehemaligen Reitweg in den Bergen hoch über Deia an den „Archedux“ aus Österreich.
Wer auf seinem Mallorca-Urlaub also einmal Erholung vom anstrengenden Strand- und Nachtleben sucht, findet auf den Spuren Ludwig Salvators Abwechslung und Anregung.


Bildtexte:
San Marroig aus dem ehemaligen Besitz Salvators dient heute als Museum.
Foto: Breidenbach
Lokale Arbeitsmittel genau festgehalten. Illustration aus der „Volksausgabe“ über „Die Balearen“ (1897).

Ludwig Salvator illustrierte seine Reisebeschreibungen und wissenschaftlichen Bücher selbst. Im Bild die Oase „El Guga“ aus dem Reisebericht: „Die Karawanenstraße von Ägypten nach Syrien“ (1879)

Büste Salvators im Garten der Kartause von Valdemossa.
Foto: Breidenbach
Blick auf Salvators ehemalige Ländereien im Nordwesten Mallorcas. Die malerische Halbinsel Foradada steht heute als Natura 2000 Gebiet unter Naturschutz.
Foto: Breidenbach