Salzburger Fenster, 33-2010
Motorräder: Absurde EU-Gesetze begünstigen Lärmterror
Lauter als LKWs. Polizei kann das tatsächliche Fahrgeräusch nicht kontrollieren.
Motorrad-Lärm wird gesetzlich vorsätzlich begünstigt. Dafür sorgen komplizierte EU-Normen, die in der Praxis dazu führen, dass das tatsächliche Fahrgeräusch nicht kontrollierbar ist und leisere Maschinen bestraft werden müssen, während doppelt so laute ungehindert weiterfahren können.
Die Situation ist grotesk. Oberst Friedrich Schmidhuber, Leiter der Verkehrsabteilung der Polizei in Salzburg, macht aus seinem Unmut keinen Hehl: „Es gibt extrem laute Motorräder, die wir unbehelligt weiterfahren lassen müssen, und halb so laute, denen wir das Kennzeichen abmontieren müssen. Die gesetzliche Situation zur Kontrolle des Lärms von Motorrädern ist unbefriedigend und oft ungerecht.“
Der Polizeioberst muss lärmgeplagte Anrainer von Motorradstrecken, die sich hilfesuchend an ihn wenden, deshalb auch öfter enttäuschen. „Die Anrainer können ja den Unterschied zwischen legalem und illegalem Lärm nicht hören. Für sie ist verständlicherweise Lärm eben Lärm. Die Polizei aber muss aufgrund der gesetzlichen Situation diesen Unterschied machen. Für die Bürger ergibt das keinen Sinn.“
„Fahrgeräusch“ nicht kontrollierbar
Die gesetzliche Situation ist tatsächlich wie gemacht für die Liebhaber lauter Motorräder und die einflussreiche Motorrad-Industrie.
Ganz legal dürfen Motorräder in der EU mit offiziell maximal 80 Dezibel so laut wie LKWs sein. In der Realität sind Motorräder lauter. Dafür sorgen die entsprechenden EU-Normen.
Das offizielle „Fahrgeräusch“ für die Zulassung von Motorrädern wird an ganz speziellen Prüfstrecken erhoben. Dort wird unter genau definierten Bedingungen die Vorbeifahrt an einer zwanzig Meter-Strecke im zweiten oder dritten Gang bei 50 Km/h gemessen. Bleibt die Maschine dabei unter 80 Dezibel, wird sie in der gesamten EU zugelassen. Das Ergebnis dieser merkwürdigen „Fahrgeräuschmessung“ wird im Typenschein eingetragen. Wie viel Lärm dieselbe Maschine beim Beschleunigen und bei aggressiver Fahrweise erzeugt, ist nicht relevant.
Es kommt aber noch dicker. In der Praxis besteht für die Polizei später keine Möglichkeit, dieses im Typenschein eingetragene „Fahrgeräusch“ zu überprüfen. Warum? Weil es keine Prüfstrecken gibt, die denen des Zulassungsverfahrens entsprechen. In der entsprechenden EU-Norm ist von der Asphaltmischung bis zu den Umgebungsbauten alles genau geregelt. „Wir haben in ganz Salzburg keine solche geeichte Strecke“, erklärt denn auch Josef Schnitzhofer von der KFZ-Prüfstelle des Landes Salzburg. „Fahrgeräuschmessungen, die wir oder die Polizei machen, würden deshalb auch in keinem Verfahren standhalten. Das wäre sinnlos.“
Keine Obergrenze bei „Standgeräusch“: Über 100 Dezibel möglich
Damit nicht genug. Wenn ein Motorrad einmal den verharmlosenden Fahrgeräusch-Test absolviert hat, und dabei unter 80 Dezibel geblieben ist, wird anschließend noch bei 50 Prozent der Nenndrehzahl das „Standgeräusch gemessen und ebenfalls im Typenschein eingetragen. Für dieses „Standgeräusch“ gibt es laut EU-Verordnung keine gesetzliche Obergrenze! In den Typenscheinen finden sich daher auch offiziell eingetragene „Standgeräusche“ von über 100 Dezibel. Die beliebte BMW S1000 RR hat zum Beispiel 103 Dezibel Standgeräusch im Typenschein eingetragen. Im Harley Davidson Forum auf www.motor-talk.de brüstet sich ein Fahrer sogar, seine Maschine habe 110 Dezibel Standgeräusch eingetragen.
Im Unterschied zum Fahrgeräusch kann das Standgeräusch von der Polizei oder von den KFZ-Prüfstellen gemessen und überprüft werden. „Wir haben an der KFZ-Prüfstelle schon bis zu 110 Dezibel Standgeräusch gemessen, das ist unglaublich und schmerzhaft laut“, berichtet Josef Schnitzhofer. „Aber wenn das im Typenschein so eingetragen wäre, dann wäre es legal und könnte nicht beanstandet werden.“
Polizei-Praxis: 100 Dezibel legal – 90 illegal
Aus diesem in der EU-Norm 97/24/EG festgelegten Zulassungsprocedere resultieren dann die Situationen, wie sie Polizei-Oberst Schmidhuber aus der Praxis schildert. Konkret kann es bei Kontrollen dann so grotesk zugehen: Wenn eine Maschine 80 Dezibel Standgeräusch im Zulassungsschein eingetragen hat und 90 Dezibel gemessen werden, dann wird der Fahrer angezeigt und kann sogar an der Weiterfahrt gehindert werden.
Eine andere Maschine aber, die mit 100 Dezibel doppelt so laut ist, dies aber im Typenschein so eingetragen ist, darf ungehindert weiter durch die Landschaften donnern.
Zur Information: 10 Dezibel mehr bedeuten eine Verdoppelung des Lärms. Lärm ist für eine Vielzahl von Erkrankungen verantwortlich. Laut deutschem Umweltbundesamt erhöht sich zum Beispiel bei einem Lärm-Tagesmittelpegel von 66 bis 70 Dezibel das Herzinfarktrisiko um bis zu zwanzig Prozent.
Eine Chance haben Polizei und Prüfer nur, wenn Motorrad-Lärmfreaks selbst an ihren Maschinen herumbasteln, um den „Spruch“ ihrer Geschosse zusätzlich zu erhöhen. Oft genügen nur wenige Schraubendrehungen, um „Dezibel-Killer“ aus dem Auspuff zu entfernen. Wenn so etwas festgestellt wird, kann die Behörde eingreifen. Laut Oberst Schmidhuber werden im Bundesland Salzburg jährlich über hundert solcherart ertappte Motorradfahrer von der Verkehrspolizei angezeigt.
Lasche Gesetze verführen zu Tricks
Die vorsätzliche Begünstigung des Motorradlärms endet noch keineswegs bei dem absurden Zulassungsverfahren und der gesetzlich verunmöglichten Überprüfbarkeit des realen Fahrlärms. Die laschen Gesetze laden zusätzlich noch zu mehr Lärmerzeugung im halblegalen Graubereich ein. Das gibt es etwa im findigen Handel lärmerzeugendes Zubehör, das nicht für den Straßenverkehr zugelassen ist. Wird man trotzdem damit ertappt, muss man nur sagen, dass man dieses Zubehör eh nur auf Rennstrecken aktiviert. Da gibt es Knöpfe und Schalter, die Klappen im Auspuff öffnen um den „Spruch“ noch „kerniger“ zu machen. Ach hier muss der Lärmfreak nur unschuldig beteuern, diese nicht betätigt zu haben. Da gibt es Maschinen, die keinen Drehzahlmesser eingebaut haben und damit die Überprüfung des Standgeräusches bei Kontrollen verunmöglichen, usw. Diese Liste wäre noch lang.
Lösung: „Einheitliche Lärmobergrenzen“
Dem gesundheitsschädlichen Motorradlärm, dem insbesondere an schönen, trockenen Wochenenden die Anwohner von attraktiven Bergstrecken und Landstraßen ausgesetzt sind, wäre beizukommen. Darüber sind sich die Fachleute einig. Oberst Schmidhuber: „Bei gesetzlich festgelegten einheitlichen Lärm-Obergrenzen für alle Motorräder könnte die Polizei effektiv kontrollieren und die Bevölkerung besser schützen.“ Auch Josef Schnitzhofer von der KFZ-Prüfstelle hat einen ähnlichen „Wunsch an das Christkind“: „Motorräder sollten in keinem Betriebszustand eine gesetzlich festgelegte Dezibel-Grenze überschreiten dürfen. Das wäre die Lösung für eine effektive technische Kontrolle, für den Schutz lärmgeplagter Bürger und für die Mehrheit der Motorradfahrer selbst, die immer für die unvernünftige Minderheit unter ihnen geprügelt wird.“
Wenn der Gesetzgeber wollte, gäbe es also einfach Lösungen. Ganz offensichtlich will er aber nicht.