Samstag, 26. November 2011

von Heinrich Breidenbach

Die „Linke“ in der Schuldensackgasse

Die „linke“ Agitation gegen eine Schuldenbremse hat keine Perspektive


Ein Staat ist nicht „sozial“, wenn er ständig mehr ausgibt, als er einnimmt. Er tut nur zeitlich begrenzt so. Schade, dass aktuell so viele Exponenten der so genannten „Linken“ das fortschreiben wollen.  Halten wir ein paar Fakten fest.
Schuldenmachen ist für die Politik eine bequeme Sache. Sie muss sich mit niemandem anlegen. Strukturen, Systeme, Gewohnheiten und Privilegien, auch Steuerprivilegien, können unangetastet bleiben. Die Bürger spüren – vorerst - nur die Wohltaten. Die Lawine wächst lautlos. Bis es knallt. Wir sehen, was dann passiert, oder unter dem Druck der „Märkte“, die dann ruinös steigende Zinsen für Staatsanleihen verlangen, passieren muss. Dann ist Schluss mit „sozial“. Dann trifft es die Schwachen. Dann wird hemmungslos privatisiert. Dann entscheiden Entsandte der „Märkte“ und nicht mehr gewählte Politiker. Besonders „links“ ist das nicht.
Österreich befindet sich noch in der Phase des lautlosen Wachstums der Lawine. Deshalb ist noch Spielraum für schöne Worte. Aber alleine die Zinsen, die wir für unsere Staatschulden zu bezahlen haben, belaufen sich im Jahr 2011 auf rund 7,8 Milliarden Euro. Tendenz steigend. Das ist heute schon viel mehr, als für wichtige soziale Aufgaben des Staates ausgegeben wird. Kredite kosten Geld und führen, spätestens wenn man neue Kredite zur „Refinanzierung“ der alten braucht, in Abhängigkeiten von Geldgebern. Wer eine andere Lösung hat, möge vortreten. Aber wegwünschen kann man sich das nicht.
Wer bezahlt eigentlich die Zinsen? In Österreich vornehmlich die breite Masse als brave Zahler von Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuer. Wer kassiert die Zinsen? Vornehmlich Vermögende, deren Geld in Staatsanleihen geparkt ist. Die Zinszahlungen der Staaten sind Teil der Aufhebung der Schwerkraft beim Geld. Das Geld fließt permanent und über unzählige Kanäle nach oben. Durch die Arbeit, durch Mieten, durch steigende Grundstückspreise, durch den täglichen Konsum und eben auch durch die Zinszahlungen der Staaten. Sie sind eine milliardenschwere stille Umverteilung von unten nach oben. Besonders „links“ ist das zum zweiten Mal nicht.


Angst vor dem Konflikt
Was würde eigentlich bei Einführung einer gesetzlichen Schuldenbremse passieren? Vorausgesetzt freilich sie bleibt nicht nur Papier, wie das etwa bei den Maastricht-Verträgen der Fall war. Die realen Verhältnisse, die derzeit nur verschleiert auf die lange Schuldenbank geschoben werden, würden in aller Schärfe sichtbar werden. Es müsste neu und anders gehandelt werden. Grundsätzlich stünden dabei zwei Wege zur Auswahl: Entweder die von manchen konservativen und allen neoliberalen Vertretern einer Schuldenbremse bezweckte einseitig Kürzungspolitik mit sozialen Einschnitten und dem Rückzug des Staates aus notwendigen Funktionen. Oder vernünftiges strukturelles Sparen, bessere Politik, kombiniet mit neuen oder anderen Einnahmen.
„Linke“ die jetzt mit vorgeblich „sozialen“ Argumenten gegen die Schuldenbremse agitieren, haben in Wahrheit Angst vor dieser dann unausweichlichen Konfrontation. Sie fürchten, diese zu verlieren. Aber warum soll denn ausgemacht sein, dass der gesellschaftliche Konflikt um einen vernünftigen, effizienten und gerechten Staat ohne Schuldensackgasse von vorneherein verloren ist? Anders gefragt: Kann nur endloses Schuldenmachen einen sozialen Staat und einen, der auch antizyklische Wachstumsstrategien fahren kann, garantieren? Dann gute Nacht.
Markus Koza, ein engagierter Gewerkschafter, dem man anderer Stelle oft zustimmen kann, hat im Standard vom 21. November neben der allgemeinen Verdammung einer Schuldenbremse gemeint, eine solche würde Österreich „geradewegs ins rechte Eck manövrieren“. Diese Ängstlichkeit ist angesichts des Stimmungsbildes in der Bevölkerung merkwürdig. Breite Mehrheiten wollen einen vernünftigen Mix aus strukturellem Sparen und neuen Einnahmen, auch aus Vermögenssteuern. Warum traut sich die „Linke“ nicht zu, diese Mehrheiten politisch zur Geltung zu bringen.
Was ist denn die Alternative? Noch eine unbestimmte und wahrscheinlich sehr kurze Zeit lang den tatsächlich ungelösten gesellschaftlichen Konflikt um eine gerechte Finanzierung der Staaten auf die lange Schuldenbank schieben? Weil man irgendwann später vielleicht politisch stärker sein wird? Mitnichten, liebe Leute! Eine „Linke“ die in den Augen der Menschen mit dieser Sackgasse verbunden wird, wird dann noch schwächer sein und abgestraft werden.


Wegwünschen geht nicht
Freilich stimmt es, dass die akuten Staatsschuldenkrisen eine Folge des – zum Teil sogar recht erfolgreichen – Gegensteuerns der Staaten gegen die Finanzkrise 2008/09 sind. Die flugs angeschlossene Frage, warum denn die kleinen Leute dies jetzt in Gefolge von Schuldenbremsen ausbaden sollen, ist schön gestellt. Aber es waren auch die sozialdemokratischen Regierungen, die, als sie in Europa noch mehrheitlich an den Regierungen waren, die Finanzmärkte irrwitzig von der Leine ließen. Die dadurch geschaffenen Realitäten kann man sich auch mit richtigen Anmerkungen nicht wegwünschen. Man kann nur für die Zukunft daraus lernen.
Es stimmt auch, dass die „Schuldenbremse“ an sich nur ein Wort ist. Selbst wenn sie in der Verfassung steht. Das ist immer so. Im Grundsatz aber wäre sie eine richtige und verantwortliche gesellschaftliche Übereinkunft. Wenn eine solche in der Verfassung steht, schadet das nicht. Das Wort muss halt mit Leben erfüllt und politisch gestaltet werden. Dafür gibt es genug Spielraum. Österreich kann durch strukturelle Reformen sozial verträglich bei den Ausgaben sparen und kann bei einem sehr ungleich verteilten Geldvermögen der privaten Haushalte von netto 303 Milliarden Euro (Quelle: Nationalbank) auch auf der Einnahmeseite genug holen.
Es gibt genug Spielraum, der zur Gestaltung einlädt.


Heinrich Breidenbach


Gedruckt mit geringfügigen Änderungen/Kürzungen im „Standard“ vom 26. November 2011