Salzburger Fenster, Meinung 22-2013


Keine Angst vor den Datensammlern!

„Demokrat zu sein, bedeutet vor allem, keine Angst zu haben.“ Diese wunderbar richtigen Worte stammen vom ungarischen Politiker und Denker Istvan Bibo (1911 – 1979). Sie gelten immer und überall.
Aktuellstes Beispiel dafür ist der neue Datensammelskandal um den US-Geheimdienst NSA. Dieser saugt auch mit Duldung der großen Internetfirmen weltweit alles an Daten ab, was im Netz so zu bekommen ist. So sehr man nun politisch und gesellschaftlich die private und staatliche Datensammelwut bekämpfen muss, so wenig Angst sollte man privat davor haben. Gefährlicher als die Datensammler ist die sich verbreitende paranoide Angst vor ihnen. Es wäre schrecklich, wenn BürgerInnen aus dieser Angst heraus ihre demokratische Rechte zögerlicher ausüben würden.
Was haben die Keller voller Akten und der riesige Stasi-Bespitzelungsapparat dem Regime der alten DDR letztlich genützt? Gar nichts! Es ist trotzdem kläglich untergegangen. Der ganze Aufwand war mindestens so lächerlich wie er monströs bösartig war. Aber in der DDR haben tapfere Demokraten im vollen Wissen um die Allgegenwart der Spitzel ihre Arbeit getan. Nichts sollte uns in den Demokratien daher daran hindern, unsere Meinungen so laut zu sagen und so sichtbar dafür einzutreten, dass sie jeder Geheimdienst der Welt mithören, mitschreiben, fotografieren, filmen, sammeln und archivieren kann. Viel Spaß Leute! Erstickt an Euren Daten!
Die Aufregung in Europa über die Praktiken in den USA ist groß. Das ist gut so, aber es ist auch viel Heuchelei dabei. Der Unterschied ist vor allem, dass die Amerikaner mehr Möglichkeiten haben. Auch in Europa und hierzulande wurden und werden von den Geheimdiensten eifrig großteils sinnlos Daten gesammelt und Bürger bespitzelt. Ich persönlich habe etwa den Staatspolizei-Akt über meine linke Studentenzeit einmal einsehen können. Etwas Sinnloseres gibt es gar nicht. Die Vorstellung, dass das Sammeln dieses Allerwelts-Zeugs („Teilnahme an einer Demonstration gegen Atomkraft“, etc.) auch noch Steuergelder gekostet hat, macht wütend.

Daten für Dumme
Die politische Bilanz der eifrig datensammelnden Geheimdienste ist besonders für die US-Politik über die letzten Jahrzehnte desaströs. Es braucht eben nicht nur Geld, Technik, Spitzel und Datenberge, es braucht auch ideologiefreie, intelligente Hirne zur Bewertung und Analyse der Ergebnisse und Datenmengen. Die fehlen. Die US-Geheimdienste haben für die US-Politik insgesamt einen riesigen und negativen Beitrag beim Aufbau vollkommen falscher Feind- und Freundbilder geleistet. Sie haben jahrzehntelang rechte, faschistische Diktaturen weltweit gestützt. Sie haben demokratisch gewählten Regierungen wie in Chile blutig gestürzt. Sie haben terroristische Mörderbanden wie die Contras in Nicaragua finanziert. Sie haben im Nahen Osten und in Afghanistan blind und ohne die Folgen zu bedenken, die Anfänge des terroristischen islamischen Fundamentalismus ideologisch und militärisch unterstützt. Sie haben Bedrohungen konstruiert. Sie haben Massenvernichtungswaffen im Irak erfunden und falsche Kriegsgründe geliefert. Usw.  
Insgesamt haben die US-Geheimdienste viel mehr Ungerechtigkeit, Unsicherheit, Terrorismus und schlechte Politik mit geschaffen als Sicherheit produziert.
Der geringste Vorwurf an sie ist dabei, dass sie konkrete Terror-Anschläge nicht verhindern konnten, sogar trotz massiver Hinweise. Weil es totale Sicherheit eben nicht geben kann.  
h.breidenbach@salzburger-fenster.at

 „Gefährlicher als die Datensammler ist die sich verbreitende paranoide Angst vor ihnen.“