Salzburger Fenster, Meinung 21/2013
Der „mündige Konsument“ als Ausrede
Die Bilder und Nachrichten entsetzen immer wieder. Brennende oder eingestürzte Fabriken, hunderte tote ArbeiterInnen in den Trümmern. Miserable Löhne. Unmenschliche Arbeitsbedingungen. An zu
vielen Produkten unseres Alltags kleben Blut und Leid, oder es hängt ein riesiger schädlicher Umweltrucksack an ihnen.
Gerne wird die Verantwortung dafür „den Konsumenten“ angelastet. Weil die könnten ja auch ganz anders einkaufen: Bewusster. Informierter. Solidarischer. Dann würde alles gleich viel besser
werden. Falsch ist das nicht. Die Konsumenten haben viel Macht und könnten diese auch noch mehr nutzen.
Die andere Seite aber ist das Abschieben von Verantwortung seitens der Politik und der großen Konzerne auf die Konsumenten. Die Herrschaften machen ihre Hausaufgaben nicht und es sich einfach.
Die „mündigen Konsumenten“ hätten ja die Wahl. Wenn sie nicht anders einkaufen wollen, dann kann man nichts machen. Mit Phrasen wie „der Markt verlangt“ oder „der Kunde will“ wird versucht,
menschen- und umweltfeindliche Produktion zu rechtfertigen.
So wird etwas Richtiges, nämlich dass die Konsumenten grundsätzlich Verantwortung und Macht haben, zum Argument für etwas Falsches, nämlich der Abschiebung von Verantwortung.
Natürlich sind die Konzerne dafür verantwortlich, wie und unter welchen Bedingungen ihre Standorte oder Zulieferer überall in der Welt produzieren. Das kann auch kontrolliert werden. So schwer
ist das nicht. Natürlich ist auch die internationale Politik verantwortlich. Sie kann für die Wirtschaft Regelwerke entwickeln, die Konkurrenzvorteile durch extreme Ausbeutung von Mensch und
Natur verhindern oder eindämmen. Es gibt so viele internationale Wirtschaftsabkommen. Alles Mögliche ist geregelt. Sie müssten nur wollen.
Viel bewegt
Kleine Konsumenten-Initiativen haben in Wahrheit bereits enorm viel bewegt und sind der Politik voran gegangen. Sie waren es zum Beispiel, die die Idee des fairen Handels mit besseren und
stabilen Erzeugerpreisen groß gemacht haben. Für immer mehr Konsumgüter und Lebensmittel gibt es mittlerweile faire Alternativen. Von der offiziellen Politik, auch der Entwicklungspolitik, ist
wenig gekommen. Die guten Impulse kamen von unten. Wie üblich.
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Autobauer als Spritbetrüger. Konsumentinnen und Konsumenten, die Autos nach möglichst geringem Spritverbrauch und CO2-Ausstoß kaufen, werden systematisch betrogen. Andere auch. Die Autohersteller
lügen bei den Angaben zu Verbrauch und Emissionen. Die Differenz zum tatsächlichen Verbrauch beträgt schnell einmal ein bis zwei Liter auf hundert Kilometer. Eine groß angelegte europäische
Studie bestätigte dies letzte Woche einmal mehr.
Jo dürfen´s denn des? Offensichtlich!
Schlafen die Damen und Herren Politiker und Konsumentenschützer? Wo bleibt die EU-Kommission, die sich sonst bei jedem Schmarrn wie den Olivenöl-Kandeln im Wirtshaus wichtig macht. Oder zur
Erinnerung: Bei den Metzgern wurde einst von heimischen Konsumentenschützern ernsthaft moniert, sie würden das Gewicht des Verpackungspapiers der Wurst zurechnen. Aber Milliardenbetrug wird
geduldet.
h.breidenbach@salzburger-fenster.at
Zitat: „An zu vielen Produkten unseres Alltags kleben Blut und Leid.“