Meinung
SALZBURGER FENSTER 19/2012
von Heinrich Breidenbach
Mehr Schulden für Europa?
Nur mit drastischen Sparprogrammen kann ein Land nicht saniert werden. Das führt uns Griechenland in diesen Tagen eindrucksvoll vor Augen.
Bislang galten Sparpakete und Schuldenbremsen als die Rezepte zur Bekämpfung der aktuellen Budgetkrisen. Der von den EU-Regierungen in diesem Sinn beschlossene „Fiskalpakt“ verpflichtet die
Mitgliedsländer zu strenger Budgetdisziplin und Schuldenbremsen. Mit dem Sieg des Sozialisten Francois Hollande bei den französischen Präsidentschaftswahlen scheint sich der Wind in Europa etwas
zu drehen. Jetzt heißt es wieder vermehrt „Wachstum und Investitionen“. Hollande will den „Fiskalpakt“ wieder aufschnüren, oder zumindest um einen „Investitions- und Wachstumspakt“
ergänzen.
Das Problem ist, dass beide Positionen, „Sparen“ und „Investieren“, ihre Berechtigung und ihre Gefahren haben. Wir erleben derzeit, dass man Länder zuerst „kaputtverschulden“ und dann noch
zusätzlich „kaputtsparen“ kann. Griechenland, Spanien, Italien oder Portugal haben sich in den letzten Jahren in bedenklichem Maß „kaputtverschuldet“. Durch allzu rigide, schnelle Sparpakete
könnte daraus jetzt noch zusätzlich ein „Kaputtsparen“ kommen. In Griechenland ist das bereits der Fall. Ein Entweder-Oder, ein Heraus-Sparen aus der Krise oder ein Heraus-Investieren, taugen zur
Krisenbekämpfung also wenig.
Es ist der einfachste Weg, ohne Bedeckung durch höhere Steuer-Einnahmen, die staatlichen Ausgaben zu erhöhen. Es mag auch sein, dass dies zu Wachstumsimpulsen führt. Ein nachhaltiger Weg ist dies
ebenso wenig wie das „Kaputt-Sparen“.
Vieles gleichzeitig
In Wahrheit braucht es vieles gleichzeitig: Nachhaltige Investitionen und Sparen, sinnvolles Wachstum und Budgetdisziplin, solide Steuereinnahmen und Schließen von Steueroasen, Leistung und
Umverteilung, Solidarität und Arbeit, Handeln und Zeit, Zähmung der Finanzmärkte und weniger Schulden, usw. So lange ein solches umfassendes Paket in seinen notwendigen Bestandteilen als
gegensätzlich gesehen wird, solange die unterschiedlichen Ansätze als plumpes ideologisches Entweder-Oder gelten, wird die Bekämpfung der schwersten Krise im Nachkriegseuropa nicht
gelingen.
Griechenland ist das beste Beispiel dafür. Das Land ist ein ökonomischer Zwerg mit nicht einmal drei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Wenn sogar hier die EU, der Internationale
Währungsfond und die Europäische Zentralbank mit ihren eindimensionalen „Rezepten“ und Weisheiten so spektakulär versagen, ist das eine traurige Offenbarung.
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Wen interessiert noch Libyen? Der „Westen“ hat den Aufständischen in Libyen 2011 eine überlegene Luftwaffe zur Verfügung gestellt und damit den entscheidenden Beitrag geleistet,
dass Langzeit-Diktator Muammar al Gaddafi im Oktober 2011 gestürzt und ermordet wurde.
Und seither? Wen interessieren seither noch Menschenrechtsverletzungen und Folter in Libyen, wie sie etwa von „Ärzte ohne Grenzen“ beobachtet wurden? Wen interessieren die zahlreichen dubiosen
„Milizen“ oder „Brigaden“, die sich nicht entwaffnen lassen und regionale Willkürherrschaften, sogar mit eigenen Gefängnissen, etablieren? Wen interessieren die Wahlen, die derzeit vorbereitet
werden, und auf höchst wackeligen Beinen stehen?
Es ist leider häufig ein ähnliches Muster. Wenn der „Westen“ gegen irgendeinen Bösewicht in den Krieg zieht, läuft eine gewaltige globale Medienmaschinerie, die Gut und Böse eindeutig zuordnet.
Wenn sich nachher herausstellt, dass doch alles nicht so einfach ist, herrschen Ratlosigkeit, Schweigen und Vergessen.
In Syrien könnte es ähnlich verlaufen.
h.breidenbach@salzburger-fenster.at