Meinung


SALZBURGER FENSTER 23/2012


von Heinrich Breidenbach

Europa ist eine schlampige Partie

Sehr bescheiden sind Europas Politiker geworden. Sie zeigen sich schon „erleichtert“ darüber, dass just jene zwei Parteien, die seit Jahrzehnten für die Probleme Griechenlands hauptverantwortlich sind, nach den Wahlen vom letzten Sonntag dort theoretisch eine gemeinsame Regierung bilden können. Super!
Es wird langsam ernst in Europa. Die Besorgnis wirkt zunehmend echt. Die Gesichter der Verantwortlichen verändern sich. Sie haben dafür gute Gründe. Die Probleme nehmen zu, seit auch Spanien und Italien unbezahlbare Zinsen für ihre Staatsschulden zahlen sollen. Die Hilflosigkeit wird größer.
Unterm Strich haben die politischen und ökonomischen Führer Europas bislang in der Bekämpfung der Budget- und Eurokrise katastrophal versagt. In Griechenland ist alles schlechter geworden und das Virus hat sich auf größere Länder ausgebreitet. Sie finden keinen vernünftigen Mittelweg zwischen gefährlicher Staatsverschuldung und Kaputtsparen. Sie haben weder die Mittel, noch die Überzeugungskraft, um notwendige Reformen wirklich anzustoßen. Sie finden kein Rezept gegen den Zinswucher der Finanzmärkte gegenüber angeschlagenen Staaten. Sie sind schwach.
Das liegt gar nicht in erster Linie an den handelnden Personen. Es liegt am unfertigen Projekt Europa, das sich überhoben hat. Nichts passt mehr zusammen. Europa hat viel größere gemeinsame Aufgaben und Probleme, als gemeinsame demokratisch legitimierte Macht. Die gemeinsame Währung hat keine gemeinsame Regierung. Die gemeinsame Politik hat zu wenig gemeinsame Demokratie und keine gemeinsame politische Öffentlichkeit.
Der Fiskalpakt, zum Beispiel, will strenge Budgetregeln für jedes einzelne Euro-Land erzwingen und nimmt dafür den gewählten Parlamenten wichtige Kompetenzen weg. Dies wurde im Handstreich und innerhalb weniger Wochen beschlossen. Ein extrem fragwürdiger Vorgang! Oder: Auf der berühmten „Achse Paris-Berlin“ wird mit ein paar Telefongesprächen oft mehr entschieden, als in monatelangen Verhandlungen im EU-Parlament. Diese „Achse“ steht in keinem EU-Vertrag.

Wohin mit dem Werkl?
Verwunderlich ist das alles nicht. Selbstredend gibt es Ungleichzeitigkeiten und wird improvisiert, wenn sich so viele und so unterschiedliche Staaten auf einen gemeinsamen Weg begeben. Natürlich können aktuelle Probleme ein rasches gemeinsames Handeln erforderlich machen, auch wenn die demokratischen Strukturen dafür noch nicht fertig gebaut sind. Aber man darf sich nichts vormachen. In weiten Teilen der realen politischen Entscheidungsfindung ist Europa eine verdammt schlampige Partie. Polit-Profis und mächtige Lobbys finden sich dort natürlich viel besser zu Recht als normale Bürger. Das wird auch ausgenutzt.
Es gibt zudem kein gemeinsames europäisches Ziel, wohin sich das ganze Werkel entwickeln soll. Die einen wollen einen Staatenbund, die anderen einen Bundesstaat, andere eine „Wirtschaftsregierung“ und wieder andere würden sich am liebsten nur mit einem Wirtschaftsraum ohne Zollschranken begnügen.

Diese fehlende Perspektive macht hilflos.

h.breidenbach@salzburger-fenster.at